Walker-Warburg-Syndrom: Ein spannender Fall aus Neuropädiatrie und Pränatalmedizin
Der Bruder von Frau Bader ist 1992 als Säugling verstorben. Bereits während der Schwangerschaft wurde in der 33. Schwangerschaftswoche ein Hydrocephalus festgestellt. Nach der Geburt fielen verkleinerte Augen, eine Trübung der Hornhaut, ein grauer Star sowie eine allgemeine muskuläre Hypotonie auf. Es wurde damals eine Chromosomenanalyse durchgeführt, die einen unauffälligen Befund ergab. Aufgrund der Kombination von Augenfehlbildung, Hydrocephalus und Muskelhypotonie wurde in dem aus dem Jahr 1992 stammenden genetischen Beratungsbrief bereits der Verdacht auf ein Walker-Warburg-Syndrom geäußert. Eine genetische Abklärung war zu dieser Zeit jedoch noch nicht möglich. Bekannt war allerdings, dass das Walker-Warburg-Syndrom in den meisten Fällen autosomal-rezessiv vererbt wird. Da die Diagnose zu dieser Zeit jedoch nicht gesichert werden konnte, war nicht auszuschließen, dass beim dem Bruder von Frau Bader auch eine andere genetische Ursache für die Auffälligkeiten vorgelegen haben könnte, so z.B. eine geschlechtsgebundene vererbte Form des Hydrocephalus (L1CAM), die eine ähnliche Symptomatik verursacht.
Bei einem autosomal-rezessiven Erbgang, wie beim Walker-Warburg-Syndrom, bestünde für Frau Bader nur ein sehr niedriges Wiederholungsrisiko. Um jedoch andere mögliche genetische Ursachen die ein deutlich höheres Wiederholungsrisiko bedeuten könnten (bis 50 % bei einem Sohn) abzuklären, wurde der werdenden Mutter eine Chromosomenanalyse und die Untersuchung des L1CAM-Gens (ursächlich für X-chromosomalen Hydrocephalus) angeboten. Zunächst wünschte die Patientin bei sich selbst keine Untersuchung. Zur Abklärung der Verdachtsdiagnose eines Walker-Warburg-Syndroms wurden daher die Eltern von Frau Bader untersucht, da diese obligate Anlageträger des Syndroms sein müssten. Da diese Untersuchung ggf sehr zeitaufwändig sein kann, wurde zusätzlich bei der Mutter der Patientin eine Überträgerschaft für einen X-gebundenen Hydrocephalus abgeklärt. Dies ergab einen unauffälligen Befund. Somit konnte Frau Bader relativ schnell mitgeteilt werden, dass beim verstorbenen Bruder keine von der Mutter vererbte Mutation im L1CAM-Gen die Ursache des Hydrocephalus war, sondern doch mit hoher Wahrscheinlichkeit das Walker-Warburg-Syndrom vorlag. Dadurch ergab sich für Frau Bader selbst eine Wahrscheinlichkeit von 66 % gesunde Anlageträgerin zu sein. Das erwartete Kind würde jedoch nur dann an einem Walker-Warburg-Syndrom erkranken, wenn auch der werdende Vater Anlageträger für diese seltene Erkrankung ist. Da Frau Bader und ihr Mann nicht blutsverwandt sind, ist die Wahrscheinlichkeit hierfür eher gering.
Als ursächlich für das Walker-Warburg-Syndrom sind heute mehrere verschiedene Gene bekannt, die meist autosomal-rezessiv vererbt werden. Bei den Eltern von Frau Bader wurde eine Genpanel-Analyse mittels Next-Generation-Sequencing (NGS) durchgeführt. Damit ist es möglich mehrere Gene parallel zu untersuchen. Insgesamt wurden zwölf Gene ausgewertet, deren Veränderung zu einem Walker-Warburg-Syndrom führen können. Dabei wurde beim Vater von Frau Bader im POMGNT2-Gen die Veränderung c.1679T>A (p.Val560Asp) heterozygot gefunden. Diese Mutation ist in Literaturdaten bisher nicht beschrieben. Bei der Mutter von Frau Bader fand sich im POMGNT2-Gen die Veränderung c.224-225delCA heterozygot. Aufgrund der Art dieser Veränderung (vorzeitiges Stoppkodon) kann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass diese Veränderung als pathogen und somit krankheitsverursachend einzustufen ist. Dadurch wurde es wahrscheinlich, dass auch die beim Vater gefundene Mutation im POMGNT2-Gen krankheitsverursachend ist und damit beide Elternteile von Frau Bader Anlageträger für das Walker-Warburg-Syndrom sind. Vermutlich hatte der verstorbene Bruder von Frau Bader von beiden Elternteilen die jeweilige Mutation ererbt (Compound Heterozygotie) und erkranket dadurch an einem Walker-Warburg-Syndrom, an dessen Folgen er verstorben ist.
Eine Untersuchung der beiden familiären POMGNT2-Mutationen bei Frau Bader und eine daran anschließende Pränataldiagnostik im Falle einer Anlageträgerschaft von ihr und ihrem Partner wären nun prinzipiell möglich gewesen. Würde bei Frau Bader eine Veränderung nachgewiesen werden, könnte nachfolgend auch Herr Bader untersucht werden. Falls er wider Erwarten auch Anlageträger dieser seltenen Erkrankung wäre, könnte eine vorgeburtliche genetische Untersuchung des Feten durchgeführt werden. Auf Grund des jedoch sehr geringen Risikos, dass auch Herr Bader Anlageträger ist, wünschte das Ehepaar während der bestehenden Schwangerschaft keine weitere genetische Diagnostik (Recht auf Nichtwissen). Für das jetzt erwartete Kind von Frau Bader besteht somit nur ein sehr geringes Risiko, wahrscheinlich deutlich unter 1 % liegend, an einem Walker-Warburg-Syndrom zu erkranken. Grundsätzlich werden in solchen Situationen spezielle Ultraschallkontrollen empfohlen, um die Gehirnentwicklung des Kindes zu überwachen.

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